Der Roman »Stunden aus Blei« von Radka Denemarková ist sprachlich und dramaturgisch ein Wunder und ganz ohne Zweifel der literarische Urknall für eine künstlerische Auseinandersetzung mit China, mit Europa und mit der »unheiligen Allianz von Kommunismus und Kapitalismus«, einer Allianz, die den Anspruch zur Weltherrschaft in sich trägt, die bereits Fahrt aufgenommen hat und die von sich aus vor nichts und niemand weichen, geschweige denn Halt machen wird.
»Kann man gleichzeitig leben und schreiben?«, fragt der Roman. Radka Denemarková kann es nicht nur, sie tut es auch. Und sie hat einen hohen Preis gezahlt dafür. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) verhängte über sie ein lebenslanges Einreiseverbot, weil sie schrieb was man in China nicht lesen wollte. Ihr Roman »Stunden aus Blei«, auf Deutsch erschienen im Verlag Hoffmann und Campe, wurde 2022 u.a. mit dem Literaturpreis des Landes Steiermark ausgezeichnet. Der Roman umfasst 880 Seiten und kostet €32,00.
China ist ein Konzentrationslager mit undurchlässigen Grenzen.
Denemarková's Roman überzeugt nicht nur durch seine aktuelle Thematik, sondern ebenso durch seine ganz ungewöhnliche Sprachgewalt. Tatsächlich gelingt es nur ganz wenigen Schriftstellerinnen und Schriftstellern mit ihrem Werk ein eigenes sprachliches Universum zu erschaffen. Radka Denemarková ist eine davon. Ihr Roman feiert völlig zu Recht einen Sieg nach dem anderen in der internationalen Literaturszene. Einige Sätze aus dem Roman seien nachfolgend im Wortlaut zitiert:
»In China ist alles anders, als es der erste Blick suggeriert. Da ist ein pingeliger zweiter Blick vonnöten und ein dritter und vierter, ein Blick tief unter die Oberfläche.«
»China sind mehrere Länder in einem.«
»Der Westen fördert großzügig alles, dem das Adjektiv tibetisch voransteht, insbesondere was Mönche, Künstler, Mystik und Heilpraktiken anbelangt. Aber es gibt keine Bereitschaft, die Tibeter in ihrem Befreiungskampf zu unterstützen. Der Westen möchte keine Mönche unterstützen, von denen sich jedes Jahr welche aus Protest gegen die chinesische Okkupation bei lebendigem Leib verbrennen. Für den Westen ist Selbstverbrennung keine Option. China ist Lächeln und Geduld.«
»China kauft sich die Welt. Totale Marktwirtschaft gegen freie Marktwirtschaft [...].«
»Alle Länder auf unserem Planeten werden in regelmäßigen Zyklen zur Farm der Tiere.«
»China ist ein Konzentrationslager mit undurchlässigen Grenzen. China ist ein blühender Garten. Das ist kein Widerspruch.«
»Die Schriftstellerin hat keine Ahnung, was diese Leute denken; hier weiß man genau, was gesagt werden darf. Worüber man nicht spricht. Es gibt Wörter, die es nicht in Sätze schaffen. Es gibt Gedanken, die nie in den Genuss der menschlichen Stimme kommen.«
Zum Inhalt schreibt der Hofmann und Campe Verlag auf seiner Homepage: »Peking ist der Sehnsuchtsort für eine Gruppe von Europäern, die nach China kommen, um sich zu finden und ihr Leben in neue Bahnen zu lenken. Doch den Möglichkeiten zur eigenen Entfaltung sind in dem kommunistischen Land starre Grenzen gesetzt. Die Begegnung mit chinesischen Dissidenten stellen ihre Wertvorstellungen auf die Probe, und sie alle geraten an einen dramatischen Wendepunkt in ihren Leben. Den Mittelpunkt dieser Gruppe bildet eine tschechische Schriftstellerin, die sich voller Überzeugung für demokratische Werte einsetzt und zum moralischen Leitstern für eine chinesische Studentin wird. Die gemeinsame Lektüre philosophischer Texte animiert die junge Frau schließlich zum politischen Widerstand – mit fatalen Folgen.«
Der Roman wurde u.a. beim Internationalen Literaturfestival in Berlin vorgestellt. Eine Aufzeichnung dieser Vorstellung ist auf YouTube verfügbar. Es lohnt sich auch hier reinzuschauen.
Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk sagte über Stunden aus Blei: »Radka Denemarkovás Prosa ist ein Zauberspiegel.« Diesem Urteil schließen wir uns an.
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